Zur Abwechslung Kunst
Die Kunst bestand nicht so sehr darin, letzten Donnerstagabend den Ausgang zu organisieren. Schliesslich sind unsere Kinder schon so gross, dass sie sich über die Aussicht, einen Abend ohne Eltern zu verbringen, eher freuen und diesen Zustand so oft als möglich herbeizuführen suchen.
Die Kunst bestand auch nicht darin, meinen Mann zu überzeugen, mitzukommen. Das ging ganz leicht. – Nein, die Kunst bestand darin, auf der 20minütigen Autofahrt vom Unterrichten zum KK Thun ein liebevoll zurechtgemachtes Sandwich zu verspeisen und dabei die intensiven Musicalvorbereitungen samt Ohrwürmern in den Hintergrund zu verbannen, um den Kopf freizumachen für einen meiner Lieblings-Opernkomponisten: Georges Bizet.
Durch einen lieben Freund habe ich die Kunstgesellschaft Thun kennen- und schätzengelernt. Als Theaterkommissionsinsasse sorgt er getreulich dafür, dass mir kein Leckerbissen entgeht. Und ich wiederum füttere meinen lieben Gemahl gleich mit.
Nach einem grossartigen „Don Pasquale“ mit einer bezaubernden Anne-Florence Marbot im Dezember und dem packenden Familiendrama „Zorn“ anfangs März durften wir also besagten Donnerstag Zeugen werden, wie sich für eineinhalb Stunden eine schimmernde Muschel öffnete und eine Perle der Opernliteratur freigab, ein Kleinod des nur 24jährigen Georges Bizet, das intensiver, tiefgründiger und bildschöner nicht sein könnte. „Les pêcheurs de perles“ ist die erste Oper des Franzosen. Die Handlung ist simpel und scheint einfach als Grund zu existieren, eine vom ersten bis zum letzten Ton berückende Musik dazu schreiben zu dürfen. Ebendiese Musik macht das stille, feine Gewebe einer äusserst emotionalen Dramaturgie zu einem plastischen, pittoresken Gesamtkunstwerk. Die jahrhundertealte Tradition der Perlenfischerei in Ceylon wird spürbar, das Meer als übergrosser Freund oder Feind, die Götter als Verbündete oder Richter. Und die Liebe, immer die Liebe, Segen und Fluch zugleich.
Ein fantastisches Ensemble und ein Orchester mit Wärme, Schmelz und klangzauberischen Fähigkeiten – alles vom Theater Orchester Biel Solothurn nach Thun geliefert – waren einmal mehr für einen ergreifenden Abend verantwortlich. Hut ab vor allen Ausführenden, vor einem jungen, exzellenten Komponisten und vor einer Kunstgesellschaft, die sich wirklich etwas aus Kunst macht und in der Wahl der Werke ein sicheres und glückliches Händchen beweist.
Als wir noch nahe bei Bern lebten, studierten, arbeiteten…, waren das Stadttheater, das Theater an der Effingerstrasse und das Casino kaum sicher vor unseren kulturdurstigen Seelen. (Und sind uns auch heute noch nicht ganz los geworden.) Sooft wir die Erlaubnis unserer Budgets bekamen, traf man uns regelmässig in besagten Institutionen an. Mit dem Transfer in unsere Wahlheimat Berner Oberland wurde der Weg weiter, mit den kleinen Kindern die Organisation schwieriger. Doch jetzt sind die Kleinen gross und schon fast flügge – und denkt nur: auch die Eltern spreizen die Flügel und geniessen wiedergewonnene Freiheiten.
Und dass wir diese so nahe und in solcher Qualität erleben dürfen, ist schlicht wunderbar!
Ganz herzlichen Dank und auf Wiedersehen!
Links:
Kunstgesellschaft Thun
Theater Orchester Biel Solothurn