Mick Gurtner: “Horst”

Es ist so eine Sache mit der Disziplin. Natürlich weiss ich, dass ich ab morgen wieder um 06:00 auf der Matte stehen muss. Aber nichts desto trotz gelingt es mir oft – oder sagen wir der Ehrlichkeit halber, in den meisten Fällen – gar nicht, Vernunft walten zu lassen und beim Zubettgehen das Licht rechtzeitig zu löschen, so dass ich die vielen Bücher neben meinem Bett gar nicht erst genauer betrachten kann. Am Besten wäre es wohl, gleich im Dunkeln ins Bett zu schlüpfen. – Doch wie dem auch sei, neulich bin ich einem kleinen, aber feinen Exemplar ebendieser schlafraubenden Sorte begegnet, welches es durchaus verdient hat, hier erwähnt zu werden.

Horst ist unwiderstehlich süss. Und unglaublich dickköpfig. Und charmant. Ein Blick in seine schwarzen Augen, und Frau ist rettungslos verloren.
Ach, übrigens: Horst ist nicht mein neuer Schwarm. Horst ist ein Hund. Und zudem eine sie.

Horst startet seine Charmeattacke auf dem Parkplatz einer Autobahnraststätte irgendwo in Frankreich. Sein Opfer: Thom.
Jeglicher Versuch, den kleinen Racker loszuwerden, scheitert kläglich. Horst gehört nun zu Thom. Basta.
Also braust Thom mit Horst, einem Glückshasen, einem Koffer voller Briefe und seinem Freund Bastian im Handgepäck in seinem alten Passat quer durch Frankreich.
Gesucht: Die namenlose Unbekannte. Mission: Bastian dorthin bringen, wo sich der Kreis schliesst. Gefunden und um ein Haar verpasst: Anne.

“Ein Roadmovie in Textform, unterlegt mit einer Tonspur zwischen Melancholie und poppiger Fabulierlust” steht hinten auf dem Buchdeckel. Und das Versprechen wird gehalten.
Es fällt leicht, sich ordentlich durchgeschüttelt und mit Musik aus Thoms massgeschneiderter CD-Sammlung quer durch die Pop- und Rockliteratur vollgedröhnt in den südlichsten Süden Frankreichs katapultieren zu lassen. Abgaswolken, ein nasses, stinkendes Hundefell und ein junger Fast-Kleinkrimineller erscheinen ebenso plastisch vor dem inneren Auge (oder der inneren Nase, wie man’s nimmt) wie der Charme französischer Dörfer und Städtchen, Schlummermütter und Tierärzte. Thoms flapsiger, manchmal gar etwas derber Jargon kann gleichermassen bezaubern und provozieren – bis man ihn genauer kennenlernt und langsam zu begreifen beginnt. Und irgendwo zieht sich ein feiner Faden Poesie durch das Ganze.

“Horst” bringt zum Lachen, zum Weinen und zum Nachdenken. Die Mischung ist durchaus bekömmlich.
Das kleine Buch ist trotz sanfter Melancholie sehr gut verdaulich und hinterlässt das erleichternde Gefühl, mit einer Träne an der Wimper glückselig zu lächeln.
Und wenn man diese eine besondere Widmung betrachtet, so ist die Geschichte doch nicht völlig aus der Luft gegriffen…

Mick Gurtner, Kollege aus der Zeitungsbranche und Redaktor beim Thuner Tagblatt, veröffentlichte sein Oeuvre beim SAGE UND SCHREIBE-Verlag.

www.sageundschreibe-verlag.ch

Viel Freude beim Lesen!